Römer und Taschen

Die Geschichte der Tasche ist eine Geschichte voller Missverständnisse.

Nein, dieser Werbespruch passt natürlich nicht, aber die Geschichte der Tasche im römischen Reich und insbesondere in der Spätantike, mit der ich mich beschäftige, ist eine schwierige. Denn wie so oft im Leben: Wir haben kaum Quellen, die existenten Quellen und Abbildungen, zeigen meist Männer, oftmals im militärischen Kontext. Sprich: es ist so oder so schwierig, in dieser Zeit als Frau unterwegs zu sein. Aber darum soll es heute nicht gehen.

Soweit mir bisher bekannt ist, gab es in der römischen Welt ein etwas anderes Rollenverständnis von Frauen, als wir dies heute aus der westlichen Welt kennen. Insbesondere begüterte Frauen hatten es gar nicht nötig, selbst irgendetwas zu tragen – üblicherweise hatte man dafür Bedienstete. Natürlich, wenn man jetzt die Darstellung einer Sklavin oder Bediensteten wählt, ist man in punkto Taschen vielleicht etwas freier, aber das ist ja nicht mein Begehr, denn ich versuche, mich auf eine bürgerliche, halbwegs gut situierte Frau zu konzentrieren. Immer mit dem Hinweis: Das ist bei mir nicht ganz in Stein gemeißelt. Die Fundlage der Spätantike gestaltet sich schwierig und ich erlaube mir den Luxus, mich da auch gerne links und rechts am Wegesrand umzuschauen.

Kürzlich fragte ich in einer meiner online-Gruppen nach Hinweisen zum Thema Handtaschen für Frauen. Warum? Ganz einfach: Ich bin keine begüterte römische Frau aus dem Jahre 350/400 nach Christus,  sondern ich bin eine begüterte mitteleuropäische Frau aus dem 21. Jahrhundert und als solche verfüge ich nicht über den Komfort eines eigenen Sklaven (mein Mann würde sich sehr bedanken, auch wenn er sich gerne mal als solchen bezeichnet). Ich muss also einen Teil meiner Sachen selbst mit mir tragen – sei es auf einem Event oder auf einem Markt.

Eine halbwegs große Tasche (Männer, Militär) ist ein Fund aus einem Schiffswrack aus dem 1. Jahrhundert Italien, die sogenannte Comacchio Tasche.

Es gibt keine gemeinfreien Bilder der Tasche, daher müßt ihr googlen oder hier klicken:

Das Museum mit den Funden.

Ein Bild einer etwas schlichteren Tasche aus dem gleichen Fund.

Eine Replik von Res Rarae/Martin Moser.

Eine Auswahl an Repliken von FabricaCacti.

Dann ist da noch auch eine sehr schöne kleine Umhängetasche, auf die ich tatsächlich ein Auge geworfen habe (hier ein erster Beitrag von mir aus dem März diesen Jahres), die aber für die Zwecke des Transports von A5-Block, Handy, Vesper und Wasserflasche etwas zu klein erscheint.

Das Suchwort „Krefeld Gellep 2268“ führt euch zu weiteren Abhandlungen und Hintergründen.

Leather purse, ornate flap with silver buckle and mounts, 6th-7th century, Museum Burg Linn

Just in diesem Moment tauchte in einer anderen online-Gruppe der Hinweis auf einen Nachbau einer weiteren Tasche auf: vernünftige Größe, am Arm getragen, aus Stoff – fast zu schön, um wahr zu sein. Als Nachweis (ich freue mich immer riesig über Nachweise) galt hier ein Fresko – aus Ägypten, spätrömisch laut Aussage.

Stucco wall painting of SS Cosmas and Damian; between them are the figures of Anthemos, Leontios and Euprepios; above a monochrome panel with Three Children in the Furnace and a Coptic inscription. 6thC-7thC about. Middle Egypt: Wadi Sarga

Wie erwähnt: die Fundlage für Taschen aus der gesamten römischen Zeit ist schwierig (wenn auch nicht hoffnungslos), deswegen werden für Repliken, Nachbauten oder einfach mal Versuche gerne einmal Abbildungen herangezogen.

Ich habe also die die Bildersuche von Google angeworfen und das Fresko gefunden. Und zwar auf der Seite des (übrigens hervorragenden) Britischen Museums. (Ich möchte einmal Werbung machen für das Britische Museum, das wirklich für sehr viele seiner Objekte sehr viele fantastische Aufnahmen bereitstellt, auf denen man unglaubliche Details erkennen kann.) Dieses Fresko stellt also laut Britischem Museum Folgendes dar:

Die Christenverfolgung in Ägypten erreichte ihren Höhepunkt unter Kaiser Diokletian (284-35 n. Chr.), doch erst unter Konstantin (307-337 n. Chr.) wurde das Christentum zum offiziellen Glaubensbekenntnis des römischen Reiches.

Dieses Wandgemälde besteht aus zwei verschiedenen Elementen. In der Mitte befindet sich eine mit roter Farbe ausgeführte Tafel, die aus einer Szene und einer koptischen Inschrift besteht. Bei den Figuren mit erhobenen Armen handelt es sich um die Heiligen Ananias, Azarias und Misael, die auch als „die drei Kinder im Feuerofen“ bekannt sind (siehe die Geschichte im Buch Daniel, Kapitel 1 und 3, wo sie die Namen Schadrach, Meschach und Abednego tragen). Sie werden von einem Engel begleitet.

Darunter befindet sich eine Inschrift in drei Zeilen: Die sechzig Märtyrer von Samalut; ihr Tag ist der zwölfte des Monats Mekheir. Hourkene der Jüngere, mein Bruder Mena der Jüngere. (Im Namen von) Jesus Christus.‘ Diese Märtyrer sind ansonsten unbekannt; das angegebene Datum ist vermutlich das ihres Martyriums. Bei den beiden genannten Männern könnte es sich um Mönche handeln, die das Werk in Auftrag gegeben haben oder denen es gewidmet wurde. Der Gesamtzusammenhang dieses Textes entzieht sich uns.

Um diese Tafel herum sind große, polychrome Figuren der Heiligen Damian (links) und Cosmas (rechts) angeordnet; darunter befinden sich kleinere Figuren ihrer Brüder Leontios, Eupredios und Anthinmos. Diese fünf Personen wurden zusammen mit ihrer Mutter Theodote während der Verfolgung durch Kaiser Diokletian (Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr.) in Aegae in Kilikien zum Märtyrer. Den Berichten über ihr Martyrium zufolge wurden sie verschiedenen Folterungen unterzogen, unter anderem wurden sie auf einen brennenden Scheiterhaufen gelegt; sie blieben von den Flammen unberührt, und daher ist die ikonographische Parallele aus dem Buch Daniel sehr passend. Die palmenartigen Wedel um ihre Füße stellen wahrscheinlich Flammen dar. Die wundersame Bewahrung der drei biblischen Gestalten – manchmal auch als die „drei hebräischen Kinder“ bezeichnet – vor dem Feuer wurde in der christlichen Kunst häufig als Illustration des Triumphs der Gläubigen über den Tod verwendet. Besonders beliebt war das Bild in Ägypten und Nubien.

Der Unterschied in Stil und Farbgebung zwischen den beiden Szenen lässt vermuten, dass die innere und die äußere Szene von verschiedenen Künstlern ausgeführt wurden. Es ist wahrscheinlich, dass die mittlere Tafel das Original war und die äußeren Figuren später hinzugefügt wurden; die Qualität ihrer Zeichnung ist freier und vielleicht etwas besser als die der farbigen Figuren.

Die etwa 24 km südlich von Asyut gelegene Siedlung Wadi Sarga wurde 1913-14 vom Byzantine Research and Publication Fund ausgegraben, und die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Unterbrechung verhinderte eine Veröffentlichung der Stätte. Es handelte sich um eine Art Klostersiedlung, entweder eine Ansammlung von Eremitenzellen oder (wahrscheinlicher) eine zentralisierte Gemeinschaft. Die Friedhöfe der Stätte befanden sich außerhalb des Wadis. Das Haus, in dem dieses Gemälde gefunden wurde, befand sich etwa 3 km nördlich der Hauptklosterstätte.

Lasst uns ein bisschen in das Bild der Wikipedia reinscrollen. Im ersten Anlauf würde ich sagen, das sind schon irgendwelche Behältnisse, das könnte alles mögliche sein, zum Beispiel ein Weihrauchfass. Aber warum sollte ein Heiliger mit einem Weihrauchfass herumlaufen?

Andererseits… Sankt Lorenz läuft mit einem Rost herum, Lucia mit ihren Augen auf einem Tablett … und die Geschichte der Heiligen ist ja mindestens genauso spannend und vielseitig wie die Geschichte der römischen Taschen.

Und dann kam mir meine beste Freundin Käthe zur Hilfe, von der ich regelmäßig vergesse, dass sie sich extrem gut mit Heiligen auskennt. Ihre erste Frage war: welche Heiligen sind denn das?

Schau an: die beiden Heiligen, die dort dargestellt sind, Damian und Cosmas (bzw. Damianus und Kosmas), werden in der Heiligen-Ikonographie als Zwillingspaar dargestellt, und zwar mit ihrem Attribut – haltet euch fest! – einer Arzttasche.

Katherina hat dann noch ein weiteres Bild gefunden, auf dem auch einer dieser Heiligen dargestellt wird – auch mit einer Arzttasche; und auch diese Tasche hat so einen dreieckigen Überlapp, den man in unserem oben genannten Fresko sieht.

Und wenn man da jetzt genauer schaut …

… dann findet man eine Menge interessanter Bilder der beiden Herren.

Hier ist noch ein spannender Blogbeitrag zur Kirche Santi Cosma e Damiano in Rom, in der das Bild als Deckengemälde (Mosaik / Apsis / 6. Jh.) zu finden ist.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Basilica_Santi_Cosma_e_Damiano_Mosaic_(5987189702).jpg

Nun habe ich in meiner ganzen SCA Geschichte ein paar Dinge gelernt:

Eines davon ist: Männer sind keine Frauen. Natürlich kann man auch mit „männlichen“ Taschen herumlaufen als Römerin. Es gibt halt dazu keine Beweislage (nicht, dass ich wüßte momentan zumindest), aber wir verfolgen ja alle das Hobby, weil es uns Spaß macht. Und, wie oben schon erwähnt, wir müssen ja unsere Sachen aufbewahren, wenn jetzt nicht gerade der Sklave mit einem Korb hinter uns her läuft.

Die zweite wichtige Sache, die ich gelernt habe ist: Schaue immer nach Heiligenattributen! Ist die Darstellung eine Allegorie, ist das ein Heiliger? Und inwieweit kann ich dann diese Darstellung für bare Münze nehmen?

Gehen wir also davon aus, dass es tatsächlich eine Abbildung einer Arzttasche der damaligen Zeit ist und keine stilisierte Tasche oder dergleichen, und dass es auch nicht „die Idee einer Tasche, wie sie ein Heiliger seiner Zeit getragen hätte“ ist, dann wäre jetzt der nächste Schritt, einmal zu gucken, ob man noch weitere Abbildungen von Ärzten aus der damaligen Zeit findet, oder auch von Ärzten aus der Region, die ich darstellen möchte.

Denn das ist ja das nächste Problem: dieses Fresko ist aus dem 6. bzw. 7. Jahrhundert aus Ägypten – das ist zum einen zwei Jahrhunderte später, als ich unterwegs bin und zum zweiten ein paar hundert Kilometer weiter östlich. Wenn man sehr genau sein wollte, müsste man jetzt also recherchieren, ob es irgendwelche Belege, Abbildungen und dergleichen für Taschen im Alpen-Adria-Raum des 4./5. Jahrhunderts gibt.

Kurze Notiz: So sehr Nerd bin ich im Moment (noch) nicht. Ich bin ja schon froh, dass ich Teurnia / St. Peter am Holz zufälligerweise beim letzten Urlaub gefunden habe (mein tiefer Dank dem Geliebten, der zum einen den Wegweiser entdeckte und zum anderen meine Fotos gerettet hat!).

Meine Quintessenz zum Fresko aus dem Britischen Museum wäre im Moment: Es handelt sich vermutlich um eine Arzttasche, welche vermutlich nicht von einer Frau getragen worden wäre. Wenn es eine Arzttasche ist und wenn ich mir die Detailaufnahmen des Freskos etwas genauer ansehe, wäre meine weitere Annahme, dass eine solche Tasche aus Leder gemacht worden wäre. Einfach aus dem banalen Grund, dass Arzttaschen auch heutzutage noch stabil sind, oftmals aus Leder und robust.

Ansonsten ein kurzer Exkurs in das weitere Wissen, das ich, ohne großartig nachzugucken, noch zum Besten geben kann: Es gibt Schultertaschen, da ist eine ganz prägnante zu sehen auf einem Mosaik der Piazza Armerina bei einer Bediensteten. Es gibt diverse Körbe, eine Art eines solchen Korbs habe ich im Moment bei mir bei Events dabei, aber Körbe sind nicht immer praktisch. Es gibt schicke, aber vermutlich mega unpraktische Boxen (stellt euch eine Schublade mit nach oben zulaufenden Seilen an den vier Ecken vor), auch Piazza Armerina, gleiche Frau. Und ich habe gestern beim Aufräumen meiner inzwischen vermutlich tausenden Bilder auch noch eine Abbildung eines Henkelkorbs gefunden – wobei ich noch einmal genau schauen muss, woher sie ist, von wann und aus welcher Region. Nicht vergessen werden dürfen auch einfache Zugbeutel, die man vermutlich von jedem Mittelaltermarkt kennt, die ich persönlich aber noch unpraktischer finde als einen Korb, weil man die ständig in der Hand haben muss und nicht mal vernünftig abstellen kann – deshalb gibt’s hier keine Bilder. Nein, großartiges Gebamsel am Gürtel gab es nicht. Wie immer: nicht, dass ich wüßte.

Fazit: Die Geschichte römischer Taschen ist voller Wunder und voller neuer Entdeckungen und auch heute noch gibt es jeden Tag, oder zumindest jedes Jahr, neue Erkenntnisse zu sehen, neue Mosaike zu finden, und neue Abhandlungen zu lesen! (Hach, von Tamponwerbung zu Star Trek – die Kurve muss man auch erstmal kriegen.)

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